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Schwellenkonzepte - ein Überblick

Taiga Brahm und Malte Ring

Die Wirtschaftswissenschaften als Bezugswissenschaft der Wirtschaftsdidaktik zeichnen sich durch Pluralität aus. Diese vielfältigen Ansätze sollten in der Gestaltung von Wirtschaftsunterricht berücksichtigt werden, um Schülerinnen und Schülern ein „vertieftes ökonomisches Verstehen“ (Goldschmidt et al., 2018, S. 147) zu ermöglichen (Reflexive Wirtschaftsdidaktik). Einen möglichen Ansatzpunkt, um ökonomisches Denken zu fördern, können so genannte „Disziplin- und Methodenschwellenkonzepte“ (Sender, 2017, S. 30) darstellen.

Mit Schwellenkonzepten werden zentrale Konzepte einer Disziplin bezeichnet, die ähnlich einem Portal (Meyer & Land, 2003) eine neue und bisher nicht zugängliche Art und Weise des Denkens über ökonomische Sachverhalte erlauben. So kann Wissen auf neuen Wegen handlungsorientiert und proaktiv erworben werden (Perkins, 2008). Ein Beispiel aus der ökonomischen Bildung wären Opportunitätskosten als Grundkonzept für das Verständnis von Marktwirtschaft, oder Gleichgewichtspreise, die das Wissen über den Handel am Markt erweitern und ein fester Bestandteil schulischer Curricula sind (Kricks et al., 2013). Ein weiteres Beispiel stellt die Unterscheidung von Einkommen und Vermögen dar. Gemäß Davies & Mangan (2007) werden diese beiden Konzepte im alltäglichen Sprachgebrauch häufig synonym verwenden. Dabei bietet die ökonomische Unterscheidung der beiden Begriffe den Lernenden die Möglichkeit, differenzierter über Vermögen und Einkommen nachzudenken.

Nach Meyer & Land (2003) weisen Schwellenkonzepte stets fünf Merkmale auf: 

Sie sind …

  • transformativ, d.h. sie verändern die Art und Weise, wie Lernende die (ökonomische) Welt wahrnehmen;
  • irreversibel, d.h. das durch ein Schwellenkonzept erlangte Verständnis kann nicht einfach wieder vergessen oder rückgängig gemacht werden, sondern prägt die Lernenden in ihrem weiteren Denken und Handeln;
  • integrativ, d.h. sie verknüpfen Konzepte miteinander, deren Verbindungen auf den ersten Blick nicht erkennbar sind;
  • begrenzt, d.h. sie stellen eine Schwelle oder Grenze dar, die dieses Konzept von anderen Disziplinen abgrenzt, und
  • beschwerlich, d.h. sie sind oft kontraintuitiv und widersprechen bisherigen Sichtweisen.

Der Konzeptbegriff

Zum besseren Verständnis der Grundidee des Schwellenkonzepts wird im Folgenden kurz der Konzeptbegriff eingeführt. Ein Konzept besteht sowohl aus einer objektiv-formalen als auch aus einer subjektiven Dimension (Sender, 2017, S. 19):

objektiv-formale Dimension

Die objektiv-formale Dimension umfasst die domänenspezifischen Sachverhalte, welche die Fachwissenschaft als gültig ansieht.

subjektive Dimension

Die subjektive Dimension stellt eine vom Lernenden vorgenommene, individuelle Abstraktion von diesem objektiv gültigen Verständnis aus dar.

Lernende werden sich durch diesen Abstraktionsprozess beispielsweise ökonomischer Phänomene in ihrer eigenen Lebenswelt bewusst und versuchen diese zu verstehen (Sender, 2017, S. 19). Allerdings gibt es bisweilen große Unterschiede zwischen dem subjektiven Konzeptverständnis und der objektiv-formalen Konzeptdefinition (Birke & Seeber, 2011). 

Ein Beispiel bildet das volkswirtschaftliche Konzept des Marktes (Sender, 2017, S. 19f. unter Bezugnahme auf Ashwin, 2008, S. 175): Die objektiv-formale Konzeptdefinition zeigt das Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage sowie die Preisbildung. Dagegen können bei den subjektiven Konzepten der Lernenden andere Komponenten in den Vordergrund treten, z.B. die Vorstellung eines Marktplatzes als einem Ort, an dem Waren gegen Geld getauscht werden (vgl. auch Brahm et al., 2020). Für den Schwellenkonzeptansatz sind beide Konzeptdefinitionen von Bedeutung (Mead & Gray, 2010; O’Donnell, 2009). Das subjektive Konzeptverständnis (oft auch als Präkonzept bezeichnet) stellt den Ausgangspunkt des Verstehensprozesses dar. 

Der Schwellenkonzeptwechsel bzw. Schwellenübergang (Kiley & Wisker, 2009) vollzieht sich sodann, wenn der oder die Lernende mit der objektiv-formalen Definition konfrontiert werden und sich dadurch deren subjektives Konzept so stark verändert, dass sie künftig stärker fachwissenschaftlich argumentieren können (Sender, 2017). 

Schwellenkonzepte in der (Schul-)Praxis

In der Forschung wurden bereits verschiedene Schwellenkonzepte identifiziert und deren Bedeutung für ökonomische Lernprozesse diskutiert (z.B. Bolinger & Brown, 2015; Bradley et al., 2015; Burch et al., 2014; Davies & Mangan, 2007; Nichols & Wright, 2015; Vidal et al., 2015; Wright & Gilmore, 2012; Yip & Raelin, 2012). Häufig genannte Bespiele für Schwellenkonzepte sind das Opportunitätskostenkonzept, das Marktgleichgewicht und der komparative Vorteil (Sender, 2017). Schwellenkonzepte mit Bezug zu betriebswirtschaftlichen Teildisziplinen wurden dagegen erst selten identifiziert. Ausnahmen bilden „situational leadership“ und „shared leadership“ als zwei Schwellenkonzepte in der Förderung von Führungskompetenzen (Yip & Raelin, 2012) sowie die Grundidee von „management as theory and practice“ (Wright & Gilmore, 2012, S. 621). Auch die Abschreibung im Rechnungswesen kann hier genannt werden (Lucas & Mladenovic, 2006). Insgesamt besteht noch Forschungsbedarf, um weitere ökonomische Schwellenkonzepte zu identifizieren.

Literatur

Ashwin, A. (2008). What Do Students’ Examination Answers Reveal about Threshold Concept Acquisition in the 14–19 Age Groups? In R. Land, J. H. F. Meyer, & J. Smith (Hrsg.), Threshold concepts within the disciplines (Bd. 16, S. 173-184). Sense Publishers.

Birke, F., & Seeber, G. (2011). Heterogene Schülerkonzepte für ökonomische Phänomene: Ihre Erfassung und Konsequenzen für den Unterricht. JSSE - Journal of Social Science Education, 10(2). doi.org/10.4119/jsse-565

Bolinger, A. R., & Brown, K. D. (2015). Entrepreneurial Failure as a Threshold Concept: The Effects of Student Experiences. Journal of Management Education, 39(4), 452-475. doi.org/10.1177/1052562914560794

Bradley, T. P., Burch, G. F., & Burch, J. J. (2015). Increasing Knowledge by Leaps and Bounds: Using Experiential Learning to Address Threshold Concepts. Organization Management Journal, 12(2), 87-101. doi.org/10.1080/15416518.2015.1037044

Brahm, T., Ring, M., & Rudeloff, M. (2020). Mögliche Ausgestaltung der reflexiven Wirtschaftsdidaktik für die Lehrer*innenbildung an allgemeinbildenden Schulen. Zeitschrift für Pädagogik, 66(6), 873-893. doi.org/10.25656/01:25818

Burch, G. F., Burch, J. J., Bradley, T. P., & Heller, N. A. (2014). Identifying and Overcoming Threshold Concepts and Conceptions: Introducing a Conception-Focused Curriculum to Course Design. Journal of Management Education, 39(4), 476-496. doi.org/10.1177/1052562914562961

Davies, P., & Mangan, J. (2007). Threshold concepts and the integration of understanding in economics. Studies in Higher Education, 32(6), 711-726. doi.org/10.1080/03075070701685148

Goldschmidt, N., Keipke, Y., Lenger, A., & Macha, K. (2018). Reflexive Wirtschaftsdidaktik: Ökonomische Handlungskompetenz, wirtschaftliches Sinn-Verstehen und moralische Urteile. GWP - Gesellschaft. Wirtschaft. Politik, 67(1), 143-151. doi.org/10.3224/gwp.v67i1.09

Kiley, M., & Wisker, G. (2009). Threshold concepts in research education and evidence of threshold crossing. Higher Education Research & Development, 28(4), 431-441. doi.org/10.1080/07294360903067930

Kricks, K., Mittelstädt, E., & Liening, A. (2013). Schwellenkonzepte und Phänomenografie. Explorative Studie zur Messung von Unterschieden im ökonomischen Verstehen. Zeitschrift für ökonomische Bildung, 2, 17-41.

Lucas, U., & Mladenovic, R. (2006). Developing new ‘world views’. Threshold concepts in introductory accounting. In J. Meyer, & R. Land (Hrsg.), Overcoming Barriers to Student Understanding. Threshold Concepts and Troublesome Knowledge (1. Aufl., S. 148–159). Routledge. doi.org/10.4324/9780203966273

Mead, J., & Gray, S. (2010). Contexts for Threshold Concepts (I). A Conceptual Structure for Localizing Candidates. In J. H. F. Meyer, R. Land, & C. Baillie (Hrsg.), Threshold concepts and transformational learning (Bd. 42, S. 97-113). Sense Publishing.

Meyer, J. H. F., & Land, R. (2003). Threshold concepts and troublesome knowledge: Linkages to ways of thinking and practising within the disciplines. In C. Rust (Hrsg.), Improving Student Learning - Ten Years On (S. 412-424). Oxford Brookes University. 

Nichols, E., & Wright, A. L. (2015). Using the Everest Team Simulation to Teach Threshold Concepts. Journal of Management Education, 39(4), 531-537. doi.org/10.1177/1052562915571937

O’Donnell, R. (2009). Threshold concepts and their relevance to economics. ATEC 2009, 190-200. ro.uow.edu.au/commpapers/2137

Perkins, D. (2008). Beyond Understanding. In R. Land, J. H. F. Meyer, & J. Smith (Hrsg.), Threshold concepts within the disciplines (Bd. 16, S. 1-19). Sense Publishers.

Sender, T. (2017). Wirtschaftsdidaktische Lerndiagnostik und Komplexität. Lokalisierung liminaler Unsicherheitsphasen im Hinblick auf Schwellenübergänge. Springer Fachmedien. doi.org/10.1007/978-3-658-18947-1

Vidal, N., Smith, R., & Spetic, W. (2015). Designing and Teaching Business & Society Courses From a Threshold Concept Approach. Journal of Management Education, 39(4), 497-530. doi.org/10.1177/1052562915574595

Wright, A. L., & Gilmore, A. (2012). Threshold Concepts and Conceptions: Student Learning in Introductory Management Courses. Journal of Management Education, 36(5), 614-635. doi.org/10.1177/1052562911429446

Yip, J., & Raelin, J. A. (2012). Threshold concepts and modalities for teaching leadership practice. Management Learning, 43(3), 333-354. doi.org/10.1177/1350507611422476

zuletzt aktualisiert: 01.11.2024

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Zitationshinweis

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Brahm, T., & Ring, M. (2024). Schwellenkonzepte - Überblick. In T. Brahm, M. Ring, & K. Schild (Hrsg.). Wirtschaft unterrichten. Offenes Lehrbuch für Wirtschaftsdidaktik. Online verfügbar unter: https://wirtschaft-unterrichten.de/einfuehrung/inhaltliche-konturierungen/schwellenkonzepte-ueberblick (zuletzt abgerufen am [Datum]).