Einführung in die Fachdidaktik Wirtschaft
Malte Ring und Taiga Brahm
Die Fachdidaktik beschäftigt sich mit zahlreichen Themen und Fragestellungen, die zwischen den Bereichen der Fachwissenschaft, der Didaktik und bildungswissenschaftlichen Disziplinen verortet sind. Auf unterrichtlicher Ebene umschließt sie Fragen zur Zielsetzung, Inhaltsauswahl und zur Organisationsform des unterrichtlichen Lehrens und Lernens. Hinzu kommt die Analyse fachlicher Lehr-Lernprozesse. Im Wesentlichen geht es also um das Warum?, das Was? und Wie? des Fachunterrichts. Weitergehend ließe sich auch Wozu?, Womit? und Mit wem? fragen.
Allgemeiner beschäftigt sich die Fachdidaktik mit der Analyse und Reflexion der gesellschaftlichen Voraussetzungen und Wirkungen des Schulfachs sowie der Stellung des Faches im Gesamtzusammenhang von Schule und Bildung. Darüber hinaus spielt im fachdidaktischen Diskurs das Verhältnis von real unterrichtetem Fach und den korrespondierenden Fachwissenschaften eine entscheidende Rolle (Kaminski, 2017). Damit geht auch die Ausgestaltung der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen einher. Grundsätzlich wird die Fachdidaktik im Spannungsfeld von Bildungswissenschaften, allgemeiner Didaktik und Fachwissenschaft verortet und daher auch als inter-/transdisziplinäre Vermittlungswissenschaft, als Interaktionswissenschaft oder als Integrationswissenschaft bezeichnet (Abraham & Rothgangel, 2017). Teilweise wird eine vereinfachte Einordnung sowie Bezeichnung als „Vermittlungswissenschaft“ jedoch abgelehnt und die Unabhängigkeit der Fachdidaktik von den Bezugsdisziplinen betont (z.B. in Böhner & Dolzanski, 2016).
Verhältnis der Wirtschaftsdidaktik zu fachlichen Bezugsdisziplin(en)
Als wesentliche Bezugsdisziplin der Wirtschaftsdidaktik wird im Regelfall die Wirtschaftswissenschaft genannt, genauer die Betriebswirtschaftslehre und die Volkswirtschaftslehre. Dabei gibt es auch innerhalb der Bezugsdisziplin(en) verschiedene Ansätze, über deren Aktualität, Pluralität, Relevanz und Aussagekraft innerhalb der fachwissenschaftlichen Gemeinschaft diskutiert wird (Plurale Ökonomik).
Als ergänzende bzw. verwandte Bezugsdisziplinen werden insbesondere die Sozialwissenschaft und die Politikwissenschaft verstanden. Dies äußert sich auch in den Fächerverbünden, in denen Wirtschaft teilweise unterrichtet wird (beispielsweise Wirtschaft und Politik in Nordrhein-Westfalen, Bildungspolitische Rahmenbedingungen). Je nach genauer Ausrichtung sind Inhalte des Fachs aber auch mit den Fachbereichen Geographie, Geschichte, Ethik/Philosophie, Mathe/Statistik oder Rechtswissenschaft verknüpft. Im Hinblick auf die genaue fachliche Ausrichtung gibt es unterschiedliche Positionen: Während einige Fachdidaktikerinnen und Fachdidaktiker die Notwendigkeit eines eigenen Faches betonen, das hauptsächlich wirtschaftliche Inhalte vermittelt (z.B. in Kaminski et al., 2008), heben andere die Relevanz von pluralen Ansätzen und reflexiven Elementen (z.B. in Goldschmidt et al., 2018) (Reflexive Wirtschaftsdidaktik) bzw. von soziologischen oder soziökonomischen Inhalten (z.B. in Hedtke, 2015) hervor.
Verhältnis der Wirtschaftsdidaktik zur allgemeinen Didaktik
Allgemeindidaktische Modelle unterscheiden sich von fachdidaktischen Modellen insbesondere dadurch, dass sie nicht explizit auf die Inhalte und Ausgestaltung einzelner Fächer Bezug nehmen. Vielmehr werden allgemeingültige Prinzipien formuliert. Beispiele hierfür wären die exemplarische Bedeutung von Inhalten in Klafkis bildungstheoretischer Didaktik (Klafki, 2007) oder Grundschemata für Planung, Durchführung und Beobachtung von Unterricht, wie beispielsweise in der lerntheoretischen Didaktik (Heimann et al., 1969). Die Fachdidaktik wird teilweise als konkrete Ausdifferenzierung der allgemeinen Didaktik für ein Fach bezeichnet (zum Beispiel werden die Prinzipien Klafkis fachspezifisch gedeutet siehe Prinzipien für Inhaltsauswahl). Die Fachdidaktik bedient sich hierbei Erkenntnissen der Fachwissenschaft und arbeitet im Regelfall auch mit fachspezifischen Bildungsplänen und Methoden. Insofern ist sie auf die Erkenntnisse der Fachwissenschaft angewiesen (Liening, 2015) (Fachdidaktische Modelle).
Verhältnis der Wirtschaftsdidaktik zur Wirtschaftspädagogik
Wirtschaftspädagogik untersucht als Disziplin berufliche Bildungs- und Sozialisationsprozesse und entsprechende Studiengänge bereiten Studierende insbesondere auf die Arbeit im beruflichen Lehramt vor (Euler & Hahn, 2014). Wirtschaftsdidaktik wird dabei teilweise als der didaktische Schwerpunkt der Wirtschaftspädagogik verstanden, wobei in diesem Verständnis ausgeblendet wird, dass es ökonomische Bildung außerhalb des beruflichen Bildungssystems gibt. Teilweise lassen sich Inhalte und Prinzipien von beruflichen auf allgemeinbildende Systeme übertragen, allerdings gibt es auch fachdidaktische Themen, die in den jeweiligen Systemen eine stärkere Rolle spielen. Die Ausgestaltung der Lernortkooperation (Zusammenarbeit verschiedener Lernorte, z.B. Ausbildungsbetrieb und schulischer Lernort) spielt beispielsweise für wirtschaftliche Fächer im allgemeinbildenden System keine Rolle. Da sich auch die Lebenswelt der Lernenden und die Inhalte der entsprechenden Fächer zwischen allgemeinbildendem und beruflichem System teilweise unterscheiden, sind Unterrichtsmaterialien und Beispiele nicht immer austauschbar.
Verhältnis der Wirtschaftsdidaktik zu(r) Bildungswissenschaft(en)
Die Bezeichnung Bildungswissenschaften wird als Sammelbegriff für unterrichts- und schulrelevante Erkenntnisse von Pädagogik, Psychologie, Bildungsökonomie, Soziologie etc. verwendet (Terhart, 2012). Es gibt unterschiedliche Schnittstellen zwischen der Fachdidaktik Wirtschaft und den Bildungswissenschaften (Euler & Hahn, 2014): Bei der Frage, welchen „Zweck“ Wirtschaftsunterricht erfüllen und welche Ziele verfolgt werden sollen, argumentieren Fachdidaktikerinnen und Fachdidaktiker häufig mit pädagogischen Modellen und Theorien (Bildungs- und Lerntheorien). Für die Messung wirtschaftlicher Kompetenzen werden unter anderem Konzepte aus der Psychologie und der empirischen Bildungsforschung herangezogen (Kompetenzmodellierung, Motivationstheorien etc.) (Klieme & Hartig, 2008) (Kompetenzmodelle). Soziologische Modelle und Theorien auf der Mikroebene des Unterrichts spielen beispielsweise bei Differenzierung und Umgang mit Heterogenität im Unterricht eine relevante Rolle (z.B. in Birke & Seeber, 2011).
Literatur
Abraham, U., & Rothgangel, M. (2017). Fachdidaktik im Spannungsfeld von ‚Bildungswissenschaft‘ und ‚Fachwissenschaft‘. In H. Bayrhuber, U. Abraham, V. Frederking, W. Jank, M. Rothgangel, & H. J. Vollmer (Hrsg.), Auf dem Weg zu einer Allgemeinen Fachdidaktik. Allgemeine Fachdidaktik, Band 1 (1. Aufl, Bd. 9, S. 15-21). Waxmann.
Birke, F., & Seeber, G. (2011). Heterogene Schülerkonzepte für ökonomische Phänomene: Ihre Erfassung und Konsequenzen für den Unterricht (Students’ Heterogeneous Concepts of Economic Phenomena: How to Ascertain These and Consequences in the Classroom). JSSE - Journal of Social Science Education, 10(2). https://doi.org/10.4119/jsse-565
Böhner, M., & Dolzanski, C. (2016). Fachdidaktik für Lehrende im Bereich Wirtschaft. Schlüssel für erfolgreichen Unterricht. 1. Auflage. Cornelsen.
Euler, D., & Hahn, A. (2014). Wirtschaftsdidaktik (3., aktualisierte Auflage). Haupt Verlag.
Goldschmidt, N., Keipke, Y., Lenger, A., & Macha, K. (2018). Reflexive Wirtschaftsdidaktik: Praktische Folgen für das Schulfach Wirtschaft und die Lehramtsausbildung. GWP - Gesellschaft. Wirtschaft. Politik, 67(2), 271-276. https://doi.org/10.3224/gwp.v67i2.11
Hedtke, R. (2015). Was ist und wozu Sozioökonomie? In R. Hedtke (Hrsg.), Was ist und wozu Sozioökonomie? (S. 19-69). Springer VS.
Heimann, P., Otto, G., & Schulz, W. (1969). Unterricht. Analyse und Planung (4. Aufl.). Schroedel.
Kaminski, H. (2017). Fachdidaktik der ökonomischen Bildung. Ferdinand Schöningh.
Kaminski, H., Eggert, K., & Burkard, K.-J. (2008). Konzeption für die ökonomische Bildung als Allgemeinbildung von der Primarstufe bis zur Sekundarstufe II. Im Auftrag des Bundesverbandes deutscher Banken.
Klafki, W. (2007). Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik: Zeitgemäße Allgemeinbildung und kritisch-konstruktive Didaktik (6. Auflage). Beltz Verlagsgruppe.
Klieme, E., & Hartig, J. (2008). Kompetenzkonzepte in den Sozialwissenschaften und im erziehungswissenschaftlichen Diskurs. In M. Prenzel, I. Gogolin, & H.-H. Krüger (Hrsg.), Kompetenzdiagnostik: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft (S. 11-29). VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90865-6_2
Liening, A. (2015). Ökonomische Bildung: Grundlagen und neue synergetische Ansätze (1. Aufl.). Springer Fachmedien. https://doi.org/10.1007/978-3-658-09727-1
Terhart, E. (2012). „Bildungswissenschaften“. Verlegenheitslösung, Sammeldisziplin, Kampfbegriff? Zeitschrift für Pädagogik, 58(1), 22-39. https://doi.org/10.25656/01:10493
zuletzt aktualisiert: 01.11.2024
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Ring, M., & Brahm, T. (2024). Fachdidaktik Wirtschaft. In T. Brahm, M. Ring, & K. Schild (Hrsg.). Wirtschaft unterrichten. Offenes Lehrbuch für Wirtschaftsdidaktik. Online verfügbar unter: wirtschaft-unterrichten.de/einfuehrung/wirtschaftsdidaktische-professionalitaet/fachdidaktik-wirtschaft (zuletzt abgerufen am [Datum]).