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Lernvoraussetzungen bestimmen

Malte Ring

Lehrkräfte stehen bei der Planung und Gestaltung ihres Unterrichts immer wieder vor der Herausforderung, diesen den unterschiedlichen Lernvoraussetzungen ihrer Schülerinnen und Schüler anzupassen bzw. verschiedene Lerngelegenheiten zu gestalten. Damit verfolgen Sie das Ziel, die Lernenden so gut wie möglich zu unterstützen. Das Lernen an sich ist jedoch ein individueller Prozess, welcher von unterschiedlichen Faktoren, den sogenannten Lernvoraussetzungen, beeinflusst wird. Dies wird beispielsweise im Angebot-Nutzungs-Modell von (Helmke, 2017) deutlich, in dem die Lernvoraussetzungen unter dem Begriff Lernpotenzial gefasst sind. Sie wirken sich direkt auf die Lernaktivitäten aus, also auf die Art und Weise, wie Schülerinnen und Schüler das Unterrichtsangebot der Lehrperson nutzen und gelten in der Unterrichtsforschung als eine der wichtigsten Determinanten für erfolgreiche Bildungsprozesse (Snow et al., 1996).

Welche Aspekte unter Lernvoraussetzungen gefasst werden, ist nicht eindeutig definiert. So können auch Kontextfaktoren wie beispielsweise die Gestaltung des Klassenzimmers, die genutzten Materialien oder der Geräuschpegel zu den Lernvoraussetzungen gezählt werden (Barth, 2010). Zudem stehen die individuellen Lernvoraussetzungen und -eigenschaften der Schülerinnen und Schüler in Beziehung zu „[v]erschiedene[n] Lernumwelten“ (Barth, 2010, S. 77), beispielsweise der Schule, der Klasse oder auch den Massenmedien und der Familie (Barth, 2010). Diese „können wiederum direkt oder indirekt die individuellen Lernvoraussetzungen der Schüler mitbestimmen” (Barth, 2010, S. 77).

Die individuellen Eigenschaften werden in der Forschung verschieden untergliedert. Wild et al. (2001) unterscheiden beispielsweise emotionale, motivationale, kognitive und soziale Voraussetzungen.

Zu den emotionalen Voraussetzungen zählt zum Beispiel die Prüfungsangst der Schülerinnen und Schüler (Barth, 2010) Eng verwandt damit sind die motivationale Voraussetzungen, die vor allem mit Interesse am Inhalt und der Lernmotivation in Verbindung gebracht werden (Barth, 2010). Helmke (2017) unterscheidet in diesem Zusammenhang beispielsweise die Anstrengungsbereitschaft, die Ausdauer, das Selbstvertrauen und die Lernmotivation. Die kognitiven Lernvoraussetzungen lassen sich unter anderem in die Intelligenz der Schülerinnen und Schüler und das Vorwissen untergliedern. Ebenso spielen hier auch die Lernstrategien eine wichtige Rolle (Barth, 2010): Schülerinnen und Schüler lernen und verarbeiten neues Wissen auf unterschiedliche Art und Weise. Unter die sozialen Lernvoraussetzungen fallen Eigenschaften wie zum Beispiel die kommunikativen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler (Barth, 2010).

Allgemein beeinflussen die Lernvoraussetzungen individuelle Prozesse wie die Aufmerksamkeit und die Nutzung der aktiven Lernzeit. Zwischen den unterschiedlichen Voraussetzungen bestehen vielseitige Zusammenhänge und Abhängigkeiten: Beispielsweise zeigt die Unterrichtsforschung, dass Schülerinnen und Schüler mit hoher Selbstwirksamkeit bessere Leistungen erbringen und eine größere Lernfreude wie auch ein höheres Wohlbefinden aufweisen (z. B. Honicke & Broadbent, 2016).

Heterogenität

Jede Schülerin und jeder Schüler bringt unterschiedliche emotionale, motivationale, kognitive und soziale Voraussetzungen mit in den Unterricht und trägt so zur Heterogenität der Klasse bei. Zusätzlich zu diesen individuellen Merkmalen, kommen Unterschiede zwischen den Lernenden durch überindividuelle Differenzen wie beispielsweise das Geschlecht, die Ethnizität oder das Milieu der Schülerinnen und Schüler zustande (Budde, 2017).

Einerseits wird somit Heterogenität seitens der Schülerinnen und Schüler in die Schule hereingetragen, doch ebenso wichtig ist es zu beachten, dass Heterogenität auch in der Schule selbst entsteht (Budde, 2017). Dies resultiert unter anderem aus pädagogischen Handlungen wie didaktischen Interaktionen, aus schulischen Leistungskonzepten oder auch den individuellen Einstellungen von Lehrkräften (Budde, 2017). Aber auch die institutionelle Ebene spielt eine Rolle. So verstärkt das Bildungssystem bestehende Ungleichheiten zwischen Kindern und Jugendlichen mit unterschiedlichen soziokulturellen Hintergründen nicht nur innerhalb einer Bildungsinstitution, sondern auch beim Übergang zwischen verschiedenen Bildungsinstitutionen (Maaz et al., 2010). Internationale soziale Entwicklungen wie Globalisierung und Migration verstärken das Gefühl, „dass die Heterogenität in der Gesellschaft und Schule“ (Altrichter et al., 2009, S. 346) inzwischen stärker ausgeprägt ist.

Umgang mit Heterogenität und individuellen Lernvoraussetzungen

Bezogen auf den Unterricht sind somit organisatorische und methodische Maßnahmen gefragt, um individuellen Lernenden oder Gruppen von Lernenden gerecht zu werden.

Differenzierung

Grundsätzlich kann zwischen der Binnendifferenzierung (innere Differenzierung) und der äußeren Differenzierung unterschieden werden (Hertrich, 2020). Zur äußeren Differenzierung gehört unter anderem die Aufteilung von Schülerinnen und Schülern in unterschiedliche Schularten, Schulprofile, Klassenstufen oder auch verschiedene Kurssysteme (Hertrich, 2020). Dahinter steht der Gedanke, eine leistungshomogene Großgruppe zu bilden. Die innere Differenzierung beinhaltet Möglichkeiten zur Differenzierung innerhalb einer Gruppe, beispielsweise innerhalb einer Schulklasse. Hier kann zum Beispiel auf die unterschiedlichen Interessen, Vorkenntnisse oder auch den Einsatz von verschiedenen Methoden und Medien eingegangen werden (Hertrich, 2020). Binnendifferenzierung kann im Unterricht sehr vielfältig umgesetzt werden. Insbesondere offene Formate und individuelle Aufgabenstellungen werden als vorteilhaft für heterogene Lerngruppen eingeschätzt (Bohl & Kucharz, 2010). So lassen sich auf der mikrodidaktischen Ebene individuelle Unterschiede berücksichtigen, beispielsweise indem sich Schülerinnen und Schüler bei Methoden wie dem Lerntempoduett oder Lern- und Partnertandems gegenseitig unterstützen. 

Hilfestellung

Im Sinne der Aufgabengestaltung können gestufte Hilfen (sog. Scaffolding) die Lernenden dabei unterstützen, mit ihrem jeweils unterschiedlichen Vorwissen komplexe Aufgaben besser zu bewältigen. Diese Hilfen sollten im Idealfall so aufgebaut sein, dass sie schrittweise Hinweise zur Lösung von Aufgaben geben. Mögliche Hilfestellungen können Hinweisen auf Informations- oder Arbeitsmaterial, umformulierte oder genauere Aufgabenstellungen, methodische Hinweise für die Umsetzung, Teillösungen oder auch sprachliche Unterstützungselemente wie fachspezifische Wort- oder Satzbauhilfen enthalten. Die Lernenden entscheiden hierbei individuell, wie viel Hilfe sie benötigen (IBBW, 2020).

Didaktische Rekonstruktion

Ein anderer Ansatz ist jener der didaktischen Rekonstruktion. Dieser geht davon aus, dass Schülerinnen und Schüler bereits bestimmte Vorstellungen zu konkreten fachlichen Themen haben, die ihnen auch im Alltag begegnen (Rudeloff & Brahm, 2021). Werden diese Vorstellungen, die sich zum Beispiel auf Lohnfestsetzungen, Nachfrage und Angebot oder Finanzkrisen beziehen, zur Unterrichtsplanung herangezogen, knüpft der Unterricht an die individuellen Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler an (Rudeloff & Brahm, 2021). Die verwendeten Beispiele und die Vorstellungen von Schülerinnen und Schülern beeinflussen sich dabei gegenseitig  (Birke & Seeber, 2011).

Digitale Medien

Auch die digitalen Medien können die Individualisierung unterstützen, indem Apps oder Lernprogramme zum Lernen herangezogen werden, welche unter anderem durch Rapid Assessments individuelle Lernstände ohne hohen Aufwand erheben können (Digitale Medien) (Scheiter, 2017).

zum Weiterlesen

Bohl, T. (2017). Umgang mit Heterogenität im Unterricht: Forschungsbefunde und didaktische Implikationen. In T. Bohl, J. Budde, & M. Rieger-Ladich (Hrsg.), Umgang mit Heterogenität in Schule und Unterricht. Grundlagentheoretische Beiträge und didaktische Reflexionen (S. 257-275). Verlag Julius Klinkhardt. https://www.utb.de/doi/book/10.36198/9783838547558 

Budde, J. (2018, März 12). Heterogenität in Schule und Unterricht. bpb.de. https://www.bpb.de/lernen/digitale-bildung/werkstatt/266110/heterogenitaet-in-schule-und-unterricht/ 

Literatur

Altrichter, H., Trautmann, M., Wischer, B., Sommerauer, S., & Doppler, B. (2009). Unterrichten in heterogenen Gruppen. Das Qualitätspotenzial von Individualisierung, Differenzierung und Klassenschülerzahl. In W. Specht (Hrsg.), Nationaler Bildungsbericht Österreich 2009: Bd. 2. Fokussierte Analysen bildungspolitischer Schwerpunktthemen (S. 341-360). Leykam.

Barth, C. B. (2010). Kompetentes Diagnostizieren von Lernvoraussetzungen in Unterrichtssituationen: Eine theoretische Betrachtung zur Identifikation bedeutsamer Voraussetzungen [PhD Thesis, Pädagogische Hochschule Weingarten und Hochschule Ravensburg]. nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bsz:747-opus-700

Birke, F., & Seeber, G. (2011). Heterogene Schülerkonzepte für ökonomische Phänomene: Ihre Erfassung und Konsequenzen für den Unterricht (Students’ Heterogeneous Concepts of Economic Phenomena: How to Ascertain These and Consequences in the Classroom). JSSE - Journal of Social Science Education, 10(2). doi.org/10.4119/jsse-565

Bohl, T., & Kucharz, D. (2010). Offener Unterricht heute. Konzeptionelle und didaktische Weiterentwicklung. Beltz.

Budde, J. (2017). Theoretische Grundlinien. Heterogenität: Entstehung, Begriff, Abgrenzung. In T. Bohl, J. Budde, & M. Rieger-Ladich (Hrsg.), Umgang mit Heterogenität in Schule und Unterricht. Grundlagentheoretische Beiträge, empirische Befunde und didaktische Reflexionen (S. 13-26). Verlag Julius Klinkhardt. www.utb.de/doi/abs/10.36198/9783838547558-14-61

Helmke, A. (2017). Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität Diagnose, Evaluation und Verbesserung des Unterrichts: Franz Emanuel Weinert gewidmet (7. Auflage). Klett/Kallmeyer.

Hertrich, C. (2020). Differenzierung im Wirtschaftsunterricht: Eine qualitative Delphi-Studie zu Chancen und Hürden. Springer Fachmedien Wiesbaden. doi.org/10.1007/978-3-658-31167-4

Honicke, T., & Broadbent, J. (2016). The influence of academic self-efficacy on academic performance: A systematic review. Educational Research Review, 17, 63-84. doi.org/10.1016/j.edurev.2015.11.002

IBBW. (2020). Methodenhinweis. Gestufte Lernhilfen. www.schule-bw.de/faecher-und-schularten/berufliche-bildung/wirtschaft/unterrichtsentwuerfe-und-materialien/betriebswirtschaftslehre/beschaffung/bestellung/methodenhinweis-gestufte-hilfen.pdf

Maaz, K., Baumert, J., & Trautwein, U. (2010). Genese sozialer Ungleichheit im institutionellen Kontext der Schule: Wo entsteht und vergrößert sich soziale Ungleichheit? In J. Baumert, K. Maaz, & U. Trautwein (Hrsg.), Bildungsentscheidungen (S. 11-46). VS Verlag für Sozialwissenschaften. doi.org/10.1007/978-3-531-92216-4_2

Rudeloff, M., & Brahm, T. (2021). Didaktische Rekonstruktion: Vorstellungen von Studierenden über unternehmerisches Denken und Handeln. HLZ - Herausforderung Lehrer*innenbildung, 4(2), 213-228. doi.org/10.11576/HLZ-2704

Scheiter, K. (2017). Lernen mit digitalen Medien - Potenziale und Herausforderungen aus Sicht der Lehr-Lernforschung. In K. Scheiter, & T. Riecke-Baulecke (Hrsg.), Lehren und Lernen mit digitalen Medien. Strategien, internationale Trends und pädagogische Orientierungen. (S. 33-54). Oldenbourg.

Snow, R. E., Corno, L., & Jackson III, D. (1996). Individual differences in affective and conative functions. In D. C. Berliner, & R. C. Calfee (Hrsg.), Handbook of educational psychology (S. 243-310). Prentice Hall International.

Wild, E., Hofer, M., & Pekrun, R. (2001). Psychologie des Lerners. In A. Krapp, & B. Weidenmann (Hrsg.), Pädagogische Psychologie. Ein Lehrbuch (S. 207-270). Beltz Psychologie Verlags Union.

zuletzt aktualisiert: 01.11.2024

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Zitationshinweis

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Ring, M. (2024). Lernvoraussetzungen bestimmen. In T. Brahm, M. Ring, & K. Schild (Hrsg.), Wirtschaft unterrichten. Offenes Lehrbuch für Wirtschaftsdidaktik. Online verfügbar unter: https://wirtschaft-unterrichten.de/mikrodidaktik/unterrichtsplanung/lernvoraussetzungen-bestimmen (zuletzt abgerufen am [Datum]).