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Prinzipien zur Inhaltsauswahl

Malte Ring

Um zu verstehen, wie sich das Curriculum von wirtschaftlichen Fächern entwickelt und wie Lernziele  und Kompetenzerwartungen  zustande kommen, ist es sinnvoll, sich mit den Begründungslinien für die Auswahl und Präzisierung von ökonomischen Inhalten auseinanderzusetzen. An dieser Stelle werden die diversen Prinzipien und Begründungslinien hinter der Curriculumsentwicklung vereinfachend auf zwei große Linien reduziert, die für den Wirtschaftsunterricht relevante unterschiedliche Pole darstellen: Inhaltsorientierte Ansätze, die Inhalte aus der dazugehörigen Disziplin ableiten, und situationsorientierte Ansätze, bei denen die (zukünftige) Lebenssituation bzw. Persönlichkeit der Lernenden im Vordergrund steht (Seeber, 2015). 

Inhaltsorientierte Ansätze

Inhaltsorientierte Ansätze sind eng verwandt mit dem Prinzip der Wissenschaftsorientierung, die besagt, dass die Kompetenzerwartungen des Unterrichts am aktuellen Stand der Bezugswissenschaft(en) ausgerichtet werden sollen. Diese Ansätze zielen also auf die zu unterrichtenden Inhalte und deren Strukturen ab, die anhand des Prinzips der Wissenschaftsorientierung bestimmt werden (Keller, 2008; Wilbers, 2019). Für die Lehrperson bedeutet dies, dass sich die Vorbereitung der Unterrichtsthemen an akademischen Lehrbüchern, Artikeln aus Fachzeitschriften und anderen wissenschaftlich fundierten Quellen orientieren sollte. Die Leitfrage lautet hierbei etwa: Welche Inhalte und Struktur(en) liefern die Wissenschaften bei der Analyse geeigneter Literatur? (Wilbers, 2019). Obwohl die wissenschaftsorientierte Curriculumsentwicklung viele Vorteile mit sich bringt, zu denen zum Beispiel die systematische Inhaltsstrukturierung zählt, gibt es auch zentrale Nachteile: Mit der Reduktion (Abbildung) der entsprechenden Fachdisziplin auf ein Unterrichtsfach werden pädagogisch-didaktische Aspekte und die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen sowie theoretischen Ansprüche von Schule und Universität außen vor gelassen (ausführlicher in Lipsmeier, 2015; Wilbers, 2019) (Didaktische Reduktion). Deshalb beziehen sich inhaltsorientierte Ansätze nicht allein auf die Fachwissenschaft, sondern schließen andere Kriterien – wie Exemplarität – mit ein. 

Für die ökonomische Bildung ist die kategoriale Wirtschaftsdidaktik, die sich aus der allgemeinen Didaktik (Klafki, 1969) ableitet, ein typisches Beispiel für einen inhaltsorientierten Ansatz (Dauenhauer, 1997; Kruber, 1997). Im Fokus stehen dabei die Identifikation und Auswahl von Schlüsselbegriffen und grundlegenden Prinzipien, die als unverzichtbar für das Verständnis wirtschaftlicher Prozesse gelten. Diese Kernkonzepte werden in übergeordnete Kategorien eingeordnet oder logisch miteinander verknüpft, um die Komplexität ökonomischer Zusammenhänge zu reduzieren. Ziel ist es, den Lernenden nicht nur Faktenwissen zu vermitteln, sondern auch ihre Fähigkeit zu fördern, ökonomische Phänomene kritisch zu analysieren und eigenständig zu durchdringen. Dadurch wird eine solide Grundlage für das Verständnis der wirtschaftlichen Perspektive und die Anwendung dieses Wissens in verschiedenen Lebensbereichen geschaffen. Als grundlegend für das Verständnis von wirtschaftlichen Problemen sieht beispielsweise Kruber (2000, S. 290) das „Denken in den Strukturen der ökonomischen Verhaltenstheorie“, das „Denken in Wirkungszusammenhängen“ bzw. das „Denken in ordnungspolitischen Zusammenhängen“. Er formuliert konkrete Stoffkategorien, wie beispielsweise: „Die Verwendungskonkurrenz von Ressourcen äußert sich in Knappheit von Mitteln im Verhältnis zu den Zielen (Bedürfnissen) der Menschen.“ (Kruber, 2000, S. 292). Diese Stoffkategorien können als Basis für Ziel- und Inhaltsentscheidungen im Wirtschaftsunterricht dienlich sein.

Situationsorientierte Ansätze

Situationsorientierte Ansätze bauen auf der curriculumsorientierten Didaktik von Robinsohn (1971) auf. Robinsohn argumentierte, dass sich das Curriculum stärker an den Lebenssituationen der Lernenden orientieren solle (Robinsohn, 1971). Anstatt abstraktere wissenschaftliche Inhalte in den Vordergrund zu stellen, werden die Lernenden dazu angeleitet, wirtschaftliche Zusammenhänge und Fähigkeiten in Bezug auf ihre eigene Lebenssituation zu verstehen und zu erarbeiten. Um Inhalte zu entwickeln, werden folglich aktuelle und künftige Lebenssituationen der Jugendlichen analysiert, um im nächsten Schritt die daraus resultierenden Kompetenzerwartungen und -anforderungen für zukünftiges Lehren und Lernen abzuleiten (Wilbers, 2019). Im dritten Schritt gilt es, die didaktische Gestaltung so anzupassen, dass sie gezielt zur Entwicklung der gewünschten Kompetenzen beiträgt. Die Lernenden sollen durch lebensnahe, reale Handlungssituationen dazu befähigt werden, Kompetenzen zu entwickeln, die sie in zukünftigen Situationen anwenden können (Büchter, 2017; Reetz, 1984).

Für die ökonomische Bildung ist der Lebenssituationsqualifikationsansatz (Steinmann, 1997) dafür archetypisch. Steinmann identifiziert zwei für wirtschaftliche Fragestellungen interessante Lebensbereiche: Einkommensentstehung (z.B. Arbeitseinkommen, Berufswahl…) und Einkommensverwendung (Konsum, Sparen, Versicherungen…). Damit zielt der Ansatz darauf ab, Kompetenzen zu vermitteln, die direkt in alltäglichen oder zukünftigen Lebenssituationen angewendet werden können, wie etwa das Verstehen von Verträgen, der Umgang mit Geld, oder die Bewertung von Konsumentscheidungen . Durch die Situationsorientierung wird die (zukünftige) Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler zum zentralen Ausgangspunkt des Unterrichts. Typischerweise steht hier handlungsorientierter Unterricht im Vordergrund, der durch Fallstudien und Planspiele, Betriebsbesichtigungen und -praktika oder verschiedene Projekte umgesetzt werden kann (Zusammenarbeit mit externen Partnern) (Wilbers, 2019). Eine Schwierigkeit der situationsorientierten Ansätze ergibt sich aus der Auswahl der Situation(en): Welche Aussage kann vernünftigerweise über die zukünftige Lebenswelt und die daraus ableitenden Inhalte getroffen werden? 

Eng verwandt mit situationsorientierten Ansätzen ist das Persönlichkeitsprinzip in der Curriculumsentwicklung, bei dem Lerninhalte an die Persönlichkeitsentwicklung sowie die Bedürfnisse der Lernenden angepasst werden (Reetz, 1984). Die Auswahl und Strukturierung der Lerngegenstände und Kompetenzen berücksichtigen jeweils die normativen Erwartungen und Voraussetzungen der Zielgruppe (Wilbers, 2019) (Lernvoraussetzungen bestimmen). Weiterhin unterstützt die Persönlichkeitsorientierung im Unterricht die Individualisierung der Schülerinnen und Schüler und geht mit einem hohen Maße an Selbstregulation einher (Büchter, 2017). 

Seit Anfang des 21. Jahrhunderts wird für schulische Curricula eine Kompetenzorientierung gefordert. Bildungs- und Lehrpläne basieren daher weniger auf der Vorgabe von Inhalten, Lernzielen und methodischen Hinweisen, sondern konzentrieren sich auf die Kompetenzen, die die Schülerinnen und Schüler am Ende jedes Schuljahres erreichen sollen. Für die Auswahl von Inhalten ist in dieser Sichtweise die gemeinsame Betrachtung von Inhalt und Lebenswelt der Lernenden zentral und spiegelt sich in den Bildungsstandards bzw. den Kompetenzmodellen in der ökonomischen Bildung wider.

Literatur

Büchter, K. (2017). Bildungstheorie und Fachdidaktik. In M. Becker, C. Dittmann, J. Gillen, S. Hiestand, & R. Meyer (Hrsg.), Einheit und Differenz in den gewerblich-technischen Wissenschaften. Berufspädagogik, Fachdidaktiken und Fachwissenschaften (S. 12-30). LIT Verlag.

Dauenhauer, E. (1997). Kategoriale Wirtschaftsdidaktik: Bd. 1: Anregungen zur inhaltlichen Neugestaltung. Walthari.

Keller, M. (2008). Konfliktklärung als didaktische Herausforderung. Subjektive Handlungskonzepte zur Bewältigung von Konfliktsituationen (1. Aufl.). VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Klafki, W. (1969). Didaktische Analyse als Kern der Unterrichtsvorbereitung. In H. Roth, & A. Blumenthal (Hrsg.), Didaktische Analyse (10. Aufl., S. 5-34). Schroedel.

Kruber, K.-P. (1997). Stoffstrukturen und didaktische Kategorien zur Gegenstandsbestimmung ökonomischer Bildung. In K.-P. Kruber (Hrsg.), Konzeptionelle Ansätze ökonomischer Bildung (S. 55-74).

Kruber, K.-P. (2000). Kategoriale Wirtschaftsdidaktik - Der Zugang zur ökologischen Bildung. GWP - Gesellschaft. Wirtschaft. Politik, 49(3), 285-295.

Lipsmeier, A. (2015). Curriculumsentwicklung: Verfahren und Prinzipien. In M. Klebl, & S. Popescu-Willigmann (Hrsg.), Handbuch Bildungsplanung. Ziele und Inhalte beruflicher Bildung auf unterrichtlicher, organisationaler und politischer Ebene (S. 277-308). wbv Publikation. 

Reetz, L. (1984). Wirtschaftsdidaktik. Eine Einführung in Theorie und Praxis wirtschaftsberuflicher Curriculumentwicklung und Unterrichtsgestaltung. Klinkhardt.

Robinsohn, S. B. (1971). Bildungsreform als Revision des Curriculum und ein Strukturkonzept für Curriculumentwicklung. Luchterhand.

Seeber, G. (2015). Ziele und Inhalte ökonomischer Bildung. In M. Klebl, & S. Popescu-Willigmann (Hrsg.), Handbuch Bildungsplanung. Ziele und Inhalte beruflicher Bildung auf unterrichtlicher, organisationaler und politischer Ebene (S. 371-390). wbv Publikation. 

Steinmann, B. (1997). Das Konzept „Qualifizierung für Lebenssituationen“ im Rahmen der ökonomischen Bildung heute. In K.-P. Kruber (Hrsg.), Konzeptionelle Ansätze ökonomischer Bildung (Bd. 17, S. 1-22). Hobein.

Wilbers, K. (2019). Wirtschaftsunterricht gestalten (4. Aufl.). epubli.

zuletzt aktualisiert: 01.11.2024

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Zitationshinweis

Die Inhalte dieser Homepage sind CC-BY lizenziert (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/). Bei Verwendung der Inhalte empfehlen wir folgende Zitation:

Ring, M. (2024). Prinzipien zur Inhaltsauswahl. In T. Brahm, M. Ring, & K. Schild (Hrsg.), Wirtschaft unterrichten. Offenes Lehrbuch für Wirtschaftsdidaktik. Online verfügbar unter: https://wirtschaft-unterrichten.de/makrodidaktik/prinzipien-zur-inhaltsauswahl (zuletzt abgerufen am [Datum]).