Das Handeln von Lehrpersonen
Taiga Brahm
Lernprozesse sind komplex, weswegen es wichtig ist, vielfältige Lernaktivitäten im Unterricht zu kombinieren. Dabei geht es auch darum, die heterogenen Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler (Lernvoraussetzungen bestimmen) zu berücksichtigen. Außerdem sind die Kompetenzen der Lehrperson (Die Bedeutung der Wirtschaftslehrperson) zentral. Im vorliegenden Kapitel steht das Handeln der Lehrperson im Zentrum. Dieses beschreibt die Interaktion zwischen der Lehrperson und den Lernenden. Dazu gehören individuelle Verhaltensäußerungen, emotionale Äußerungen und die angestoßenen kognitiven Prozesse (Döring, 1992).
Im Zusammenhang mit der Kompetenzorientierung wurde in den letzten Jahrzehnten auch der so genannte „shift from teaching to learning“ (Barr & Tagg, 1995) gefordert. Dieser umfasst den Wandel hin zu einer Lernkultur an Schulen wie auch an Hochschulen, die die aktive Rolle der Lernenden im Lernprozess betont (Arnold & Schüßler, 1998). In diesem Zusammenhang wandelt sich auch das Selbstverständnis der Lehrperson, die somit als Vermittlerin bzw. Vermittler zwischen den Lernenden und den Inhalten fungiert (Dubs, 2009).
Im Lehr-Lernprozess ist es von großer Bedeutung, die Denkprozesse der Schülerinnen und Schüler anzustoßen (Kognitive Aktivierung) und sie dabei zu unterstützen, selbständig zu arbeiten. Die Lernenden sollen herausgefordert werden, sich eigene Argumente und Lösungsmöglichkeiten zu erarbeiten (Lipowsky, 2015). Dafür sind verschiedene Kommunikationsfähigkeiten und -fertigkeiten nötig, um die Kommunikation, beispielsweise in Form von Dialogen und Fragen der Lehrperson, kognitiv aktivierend ( Kognitive Aktivierung) zu gestalten (Lipowsky, 2015).
Dialoge
Dubs (2009) unterscheidet zwischen vier Interaktionsformen im Unterricht:
Dialog als Instruktion (Lehrgespräch)
Der Dialog als Instruktion geht immer von einer Problemstellung aus, die es zu lösen gilt (Problemorientierung). Während dieses Prozesses versucht die Lehrperson, zwischen dem bereits vorhandenen Wissen (Lernvoraussetzungen) und den neuen Lerninhalten zu vermitteln, um schließlich das Lernziel zu erreichen. Dabei unterstützt sie die Lernenden durch angemessenes verbales Verhalten, wie geeignete Tipps, Hinweise, Denkanstöße und Fragen (Dubs, 2009).
Dialog als Entdecken (Lehrgespräch)
Auch diese Dialogform folgt einem Problemlöseprozess. Dabei stehen kritisches Denken und Entdecken im Vordergrund des Lernvorgangs. Die Lernenden sollen während des Prozesses selbständig Methoden zur Problemlösung erarbeiten, welche daraufhin getestet werden. Schließlich können daraus Schlüsse gezogen und Generalisierungen abgeleitet werden. Auch während dieser Interaktionsform unterstützt die Lehrperson mit Impulsen, Fragen und Hinweisen, während die Schülerinnen und Schüler hauptsächlich selbständig arbeiten sollen (Dubs, 2009).
Dialog als Konversation (Klassendiskussion)
Ziel einer Konversation im Unterricht ist es, während der Besprechung des Lerninhalts auch kommunikative Kompetenzen zu fördern. So sollen die Schülerinnen und Schüler lernen, sich gegenseitig zuzuhören, Argumente zu verstehen und Verständnis für andere Personen und Perspektiven zu entwickeln. Geeignet ist diese Dialogform beispielsweise für einen Einstieg in eine kontroverse Thematik oder um die Schülerinnen und Schüler zu motivieren (Dubs, 2009).
Dialog als Debatte (Klassendiskussion)
In einer Debatte (siehe Methodensammlung) werden Streitfragen zu kontroversen Themen diskutiert und verschiedene Meinungen der Lernenden erfasst. Hierbei sollen die Schülerinnen und Schüler lernen, Fakten und Tatsachen von subjektiven Meinungen und Behauptungen zu differenzieren und sich in Argumentationen erproben (Dubs, 2009).
Um Abwechslung im Unterricht zu schaffen und die Lernenden umfassend zu fördern, ist es sinnvoll, die unterschiedlichen Interaktionsformen miteinander zu kombinieren und auch darüberhinausgehende Unterrichtsformen wie den Offenen Unterricht einzusetzen (Jürgens, 2018).
Fragen der Lehrperson
Für den Aufbau von Lehrgesprächen sind die Fragen der Lehrperson ein wesentlicher Bestandteil. Durch gezielte Fragen kann der Unterricht gesteuert und strukturiert werden. Die Lehrperson kann die Aufmerksamkeit auf bestimmte Aspekte des Unterrichts lenken und das Vorwissen der Lernenden überprüfen (Lipowsky, 2015). Gute Fragen von Lehrpersonen müssen laut Dubs (2009) verschiedenen Ansprüchen genügen:
- Berücksichtigen des Vorwissens der Lernenden,
- klare, eindeutige und verständliche sowie an die Klasse angepasste Formulierung,
- Vermeiden von mehreren Fragen in einer Reihe, stattdessen Unterteilen in Teil- und Zwischenfragen (Dubs, 2009).
Nach dem Stellen der Frage sollte die Lehrperson den Lernenden genügend Überlegungszeit einräumen. Darüber hinaus sollte sie, auch auf unerwartete Antworten, generell offen reagieren. Will der oder die Fragende eine bestimmte Antwort hören, wird er oder sie unempfänglich für die vielfältigen produktiven Möglichkeiten, die sich durch die Antworten der Schülerinnen und Schüler auftun können (Giel, 1968).
Dubs (2009) unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen engen bzw. geschlossenen und weiten bzw. offenen Fragen:
Enge/geschlossene Fragen
Durch diese Fragen möchte der oder die Lehrende auf eine bestimmte Antwort hinaus, weshalb die Schülerinnen und Schüler der Denkspur der Lehrperson folgen müssen. Zu den geschlossenen Fragen zählen beispielsweise Entscheidungs- oder Wissensfragen, die das Abrufen von Fakten (z.B. von Vorwissen) erfordern. Diese Art der Frage eignet sich unter anderem, um zu einer Schlussfolgerung oder Generalisierung zu gelangen. Bei der Verwendung von geschlossenen Fragen muss darauf geachtet werden, dass diese Fragen tatsächliche Denkanstöße hervorrufen, und nicht nur eine bloße Reproduktion von Fakten darstellen.
Im Wirtschaftsunterricht wäre beispielsweise die folgende Frage eng: Wie hat sich die Arbeitslosenquote in Deutschland im Zeitraum von 2000 bis 2023 verändert? Die Frage danach, welcher Wirtschaftssektor in Deutschland in demselben Zeitraum das größte Wachstum aufweist, wäre eine geschlossene Frage.
Weite/offene Fragen
Weite Fragen lassen in der Regel mehrere Lösungen zu und können deshalb über verschiedene Wege beantwortet werden. Sie fördern die Kreativität und das eigenständige Denken der Lernenden und stellen sie vor neue Probleme. Wichtig bei dieser Art der Frage ist es, nicht eine richtige Schüler:innenantwort zu erwarten, sondern offen für verschiedene Lösungsmöglichkeiten zu sein (Dubs, 2009).
Ein Beispiel für eine weite und offene Frage aus dem Wirtschaftsunterricht wäre: Welche langfristigen Auswirkungen hat eine hohe Arbeitslosenquote auf die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes?
Fragetypen nach Zweck und Anspruchsniveau
Fragen können zudem nach verschiedenen Anspruchsniveaus gegliedert werden. Hierfür können beispielsweise die Lernzieltaxonomien nach Bloom (Lernziele) herangezogen werden (Krathwohl et al., 1975). Fragen, die sich auf die erste Stufe, das Wissen, beziehen, haben ein niedriges Anspruchsniveau und erfordern eine Reproduktion oder Beschreibung von Informationen und Sachverhalten. Das Anspruchsniveau steigt mit jeder Stufe der Lernzieltaxonomie. Am anspruchsvollsten sind somit Fragen, die eine Evaluation erfordern und bei denen die Lernenden Urteile fällen und komplexe Sachverhalte bewerten müssen (Lipowsky, 2015). Das Anspruchsniveau einer Frage sollte grundsätzlich auf die Lernenden abgestimmt sein. Angestrebt wird laut Lipowsky (2015) eine Kombination von Fragen unterschiedlicher Komplexität, abhängig vom Lerninhalt und den heterogenen Voraussetzungen der Lernenden (Lernvoraussetzungen bestimmen).
Taxonomiestufen nach Anderson und Krathwohl:
Taxonomiestufen | Art der Fragen | Ziel der Fragen / Kompetenzen |
---|---|---|
1. Erinnern | es werden z. B. Begriffe, Definitionen oder Fakten erfragt | Informationen reproduzieren und Sachverhalte beschreiben |
2. Verstehen | es soll z. B. ein Sachverhalt erklärt oder zusammengefasst werden | Zusammenhänge beschreiben und Sachlagen interpretieren |
3. Anwendung | es soll z. B. ein Transfer auf einen Anwendungskontext stattfinden oder Verbindungen hergestellt werden | Regeln anwenden und einen Transfer herstellen |
4. Analyse | es sollen z. B. Sachverhalte aufgegliedert, Kriterien ermittelt und Strukturen analysiert werden | Bestandteile eines Ganzen erkennen, ein komplexes Problem zerlegen |
5. Evaluieren | es sollen z. B. Widersprüche festgestellt, die Effektivität eines Vorgangs untersucht und begründete Bewertungen abgegeben werden | komplexe Sachverhalte bewerten und Urteile fällen |
6. Kreieren | es sollen z. B. Alternativen diskutiert, Pläne erarbeitet und neue Produkte kreiert werden | selbst kreativ werden und anhand von Kriterien Lösungsmöglichkeiten erarbeiten |
(angelehnt an Anderson & Krathwohl, 2001; Wilbers, 2018)
Rückmeldeverhalten der Lehrperson
Grundsätzlich ist es wichtig, dass die Lehrperson auf die Antworten der Schülerinnen und Schüler reagiert. Für ein positives Gesprächsklima sollte diese Reaktion generell wohlwollend ausfallen (Dubs, 2009). Lernförderlich ist es, wenn die Lehrperson interessiert zuhört, gute Antworten lobt und neue Ideen aufgreift. Falsche Antworten müssen als solche gekennzeichnet werden, jedoch können richtige Teilantworten hervorgehoben und gelobt werden. Bei anspruchsvollen Fragen können die Antworten der Schülerinnen und Schüler auch in der Gruppe zur Disposition gestellt werden, sodass sich statt eines Lehrgesprächs eine Klassendiskussion ergibt.
Literatur
Anderson, L. W., & Krathwohl, D. R. (2001). A taxonomy for learning, teaching, and assessing. A revision of Bloom’s taxonomy of educational objectives (Abridged edition). Longman.
Arnold, R., & Schüßler, I. (1998). Wandel der Lernkulturen. Ideen und Bausteine für ein lebendiges Lernen. Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
Barr, R. B., & Tagg, J. (1995). From Teaching to Learning - A New Paradigm For Undergraduate Education. Change: The Magazine of Higher Learning, 27(6), 12-26. doi.org/10.1080/00091383.1995.10544672
Döring, K. W. (1992). Lehrerverhalten. Ein Lehr- und Arbeitsbuch (10. Aufl.). Deutscher Studien Verlag.
Dubs, R. (2009). Lehrerverhalten. Ein Beitrag zur Interaktion von Lehrenden und Lernenden im Unterricht (2., überarb.). Steiner.
Giel, K. (1968). Über die Frage mit besonderer Berücksichtigung der Lehrerfrage im Unterricht. In G. Bräuer, K. Giel, W. Loch, & J. Muth (Hrsg.), Studien zur Anthropologie des Lernens. Neue pädagogische Bemühungen (Bd. 36, S. 35-64). Neue Deutsche Schule Verlagsgesellschaft. www.klaus-giel.de/doc/FrageA.pdf
Jürgens, E. (2018). Offener Unterricht. In H. Barz (Hrsg.), Handbuch Bildungsreform und Reformpädagogik (S. 471-478). Springer Fachmedien. doi.org/10.1007/978-3-658-07491-3_43
Krathwohl, D. R., Bloom, B. S., & Masia, B. B. (1975). Taxonomie von Lernzielen im affektiven Bereich (H. Dreesmann, Übers.). Beltz.
Lipowsky, F. (2015). Unterricht. In E. Wild, & J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie (2., vollst. überarb. und aktualisierte Aufl., S. 69-105). Springer.
Wilbers, K. (2018). Wirtschaftsunterricht gestalten (3. Aufl.). epubli.
zuletzt aktualisiert: 01.11.2024
Zitationshinweis
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Brahm, T. (2024). Handeln von Lehrpersonen. In T. Brahm, M. Ring, & K. Schild (Hrsg.), Wirtschaft unterrichten. Offenes Lehrbuch für Wirtschaftsdidaktik. Online verfügbar unter: https://wirtschaft-unterrichten.de/mikrodidaktik/die-lehrperson-und-ihre-umwelt/handeln-von-lehrpersonen (zuletzt abgerufen am [Datum]).