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Didaktische Reduktion

Lucy Haag und Katharina Schild

Im Fach Wirtschaft gilt es – wie in anderen Fächern auch –, in der Vorbereitung des Unterrichts mit einer großen Stoffmenge zurecht zu kommen (Sorgalla, 2015). In der Informations- und Wissensgesellschaft wird diese Stoffmengenproblematik nochmals verstärkt, da immer mehr Informationen zur Verfügung stehen. Dies stellt die Lehrpersonen vor die Herausforderung, die Komplexität des Lerninhalts ausgehend von der Sachanalyse  auf das Wesentliche zu reduzieren (Lehner, 2012). Dieser Prozess wird als didaktische Reduktion bezeichnet und soll sicherstellen, dass die Themen altersgerecht aufgearbeitet und für die Lernenden überschaubar und verständlich sind (Lehner, 2012). Für den Wirtschaftsunterricht ist außerdem die Aktualität der Inhalte von großer Relevanz und ein Kriterium für die didaktische Reduktion (Wilbers, 2014).

Im Zuge einer zielorientierten Unterrichtsplanung ist die didaktische Reduktion somit unerlässlich (Ritter-Mamczek, 2016). Die Reduktion richtet sich neben dem Bildungsplan nach der Zielgruppe, deren Alter und Vorwissen und nach den Zeitvorgaben (Lernvoraussetzungen). Mit Rücksicht auf diese Rahmenbedingungen werden schließlich die Inhalte ausgewählt (Ritter-Mamczek, 2016). Im Prozess der Unterrichtsplanung ist die didaktische Reduktion als Teilschritt der Sachanalyse (Sachanalyse) zu begreifen. Ziel dieses Planungsschrittes ist es, das Thema knapp und reduziert, aber wissenschaftlich einwandfrei aufzuarbeiten, um es den Lernenden schließlich auf verständliche Art und Weise näherbringen zu können (Tübinger Modell). Die Arbeit mit aktuellen (fachwissenschaftlichen) Quellen ist hierfür unerlässlich (Lehner, 2012).

Je nach Zugang werden verschiedene Vorgehensweisen für die didaktische Reduktion unterschieden. Im Folgenden wird zwischen der quantitativen und der qualitativen Reduktion differenziert (Lehner, 2012; Wilbers, 2014).

Quantitative Reduktion

Die quantitative Reduktion bezeichnet die mengenmäßige Reduktion der Stofffülle (Lehner, 2012). Dies ist nicht etwa gleichzusetzen mit einem willkürlichen Weglassen von Inhalten, vielmehr soll in dieser Phase der Vorbereitung Unwesentliches von Wesentlichem unterschieden und ausgefiltert werden. Dieses Vorgehen ist aufgrund des begrenzten Zeitbudgets und umfangreicher Lerninhalte, deren Fülle und Komplexität im Laufe der Zeit meist zunimmt, besonders wichtig (Lehner, 2012). Dabei sieht Lehner (2012) einen Zusammenhang zwischen „inhaltlicher Reduktion und aktivem Lernen“ (Lehner, 2012, S. 73). In der Regel gilt: umso höher die Stoffmenge, desto weniger Initiative und Interaktivität der Schülerinnen und Schüler ist erkennbar und desto niedriger die Lernqualität (Lehner, 2012). Allerdings kann eine zu geringe Stoffmenge oft nicht den Ansprüchen des Bildungsplans und der Lehrperson genügen und kann ebenfalls eine niedrigere Lernqualität zur Folge haben (Lehner, 2012). Dieser Zusammenhang zeigt ein wesentliches Spannungsfeld der didaktischen Reduktion auf, dem sich die Lehrperson im Zuge der Unterrichtsplanung stellen muss. Eine Balance zwischen der Reduktion der Stoffmenge und einer dennoch umfassenden Behandlung des Themas zu finden, ist demnach keine einfache Aufgabe.

Qualitative Reduktion

In der Regel erfolgt die qualitative Reduktion, nachdem die Auswahl der Inhalte getroffen ist. Sie zielt auf eine Verringerung der inhaltlichen Komplexität ab und besteht oftmals aus zwei Schritten: Zunächst werden die ausgewählten Inhalte auf das Wesentliche konzentriert, daraufhin werden sie vereinfacht und strukturiert dargestellt (Lehner, 2012). Der erste Schritt (Konzentration auf das Wesentliche) zielt darauf ab, das Grundlegende des Stoffes herauszustellen, d.h. unter Berücksichtigung der Zielgruppe wird die Frage gestellt, was der Kern des Inhaltes ist (Lehner, 2012). Folglich ist es auch hier notwendig, bestimmte inhaltliche Aspekte der zu unterrichtenden Thematik wegzulassen, die im Kontext des Unterrichts als zu weitgehend betrachtet werden. Das folgende Beispiel zeigt, dass die Grenzen zwischen qualitativer und quantitativer Reduktion oft unscharf sind. Wichtig ist bei der qualitativen Reduktion, dass die Inhalte vereinfacht und strukturiert dargestellt werden, damit komplexe Sachverhalte und abstrakte Inhalte von den Lernenden verstanden werden können (Lehner, 2012). Gleichwohl ist darauf zu achten, dass die fachwissenschaftliche Korrektheit gemäß dem fachdidaktischen Prinzip der Wissenschaftsorientierung eingehalten wird. 

Beispielsweise konzentriert sich die Lehrperson beim Thema Preisbildung im Fach Wirtschaft in der Mittelstufe auf das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage, während komplexere Begriffe wie Grenzerlöse und -kosten, Elastizitäten, etc. in der Regel nicht behandelt werden. 

Durch die Vielzahl an Fachbegriffen und komplexen Beziehungen im Fach Wirtschaft ist eine Vereinfachung der ökonomischen Realität hier besonders notwendig (May, 2010). Um dennoch eine kognitive Aktivierung (Kognitive Aktivierung) der Lernenden zu ermöglichen, darf die Komplexität jedoch nicht gänzlich im Voraus beseitigt werden, sodass die Schülerinnen und Schüler lernen, sich mit komplexen Themen auseinanderzusetzen.

Zur Vertiefung

Intrinsic Cognitive Load = intrinsische [lernthemenbezogene] kognitive Belastung

Kognitive Belastung, die durch die Schwierigkeit und intellektuelle Anforderung des Materials selbst erforderlich ist. Die Lernthemen sind durch Gestaltung der Lernumgebung kaum beeinflussbar, weshalb diese oft nicht tiefergehend betrachtet wird.

Extraneous Cognitive Load = extrinsische [lernumgebungsbezogene] kognitive Belastung

Die extrinsische kognitive Belastung umfasst die durch die Gestaltung des Lernmaterials entstandene Belastung. Eine optimierte Gestaltung (bspw. weniger Querverweise, übersichtliches Design, ausschließlich relevante Informationen) kann zu einer Verringerung der kognitiven Belastung führen.

Germane Cognitive Load = lernbezogene [lernprozessbezogene] kognitive Belastung

Der germane load umfasst die Entwicklung und Aktivierung vorhandener Lernschemata, also die für den Lernprozess und eine vertiefte Auseinandersetzung notwendige kognitive Belastung. Durch eine möglichst geringe intrinsic und extraneous load kann mehr Kapazität für die germane load geschaffen werden.

Diese drei Bereiche umfassen die kognitive Belastung des Arbeitsgedächtnisses. Ist letzteres noch nicht ausgelastet, so können die freien Kapazitäten durch individuelle Lernförderung gefüllt werden (Sweller, 1988). In Übereinstimmung mit der Cognitive Load Theory soll die didaktische Reduktion dazu beitragen, die intrinsische und extrinsische kognitive Belastung der Lernenden zu verringern, um die lernprozessbezogene Belastung zu optimieren.

Eine mögliche Hilfestellung bietet hierfür die Erstellung von Visualisierungen und Wissensstrukturen (Wissensstruktur).

Praktische Umsetzung der didaktischen Reduktion

3-Z-Formel

Eine mögliche Unterstützung für die didaktische Reduktion stellt die so genannte „3-Z-Formel“ (Lehner, 2012, S. 81) dar, welche die Aspekte Zielgruppe, Ziel und Zeitbudget als Leitlinien für die didaktische Planung vorschlägt. Dabei werden Inhalte auf Niveau, Vorkenntnisse und Anzahl der Schülerinnen und Schüler, sowie auf die Lernziele, die zu erwerbenden Kompetenzen und das vorhandene Zeitbudget abgestimmt (Lehner, 2013). Beim „Prioritäten-Check“ (Lehner, 2013, S. 150) werden die Inhalte nach Relevanz, ebenfalls in Hinblick auf die Zielgruppe, geordnet und aussortiert. So können jene Themen, die im Kontext der 3-Z-Formel wesentlich sind, herausgearbeitet werden. Beispielsweise wird beim Prioritäten-Check für das Thema Unternehmer für die Mittelstufe klar, dass die Schülerinnen und Schüler in der Lage sein sollen, „Gewinn und Umsatz [zu] vergleichen“ (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, 2016, S. 18), während eine ausführliche Kosten- und Erlösrechnung in der Mittelstufe nicht als notwendig erachtet wird.

Schemata, Bilder und Beispiele

Die vereinfachte Darstellung der Inhalte kann nach der mengenmäßigen Eingrenzung zum Beispiel durch Schemata, Bilder und Beispiele erfolgen (Lehner, 2013). Grundlegende Strukturen der Unterrichtseinheit können mit einer Fachlandkarte, Mindmaps oder sogenannten Concept Maps aufgezeigt werden, um eine Übersicht über das Thema zu bieten. Um Zusammenhänge darzustellen und verschiedene Themen in Beziehung zueinander anzuordnen, sind Strukturen und Modelle gut geeignet (Lehner, 2013). Dies ist auch im Wirtschaftsunterricht von großer Bedeutung. So wird im Bildungsplan die Modellbildung als besonders relevant für den Wirtschaftsunterricht beschrieben, um „komplexe Interdependenzen“ darzustellen und „die reduzierte Betrachtung einzelner Einflussgrößen“ (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, 2016, S. 8) zu erleichtern.

Bilder, Grafiken und Diagramme

Bilder, Grafiken und Diagramme (Wissensstrukturen und Visualisierungen) sind eine weitere Technik der qualitativen Reduktion. Durch die Visualisierung komplexer Sachverhalte werden diese auf das Wesentliche reduziert und anschaulich abgebildet (Lehner, 2013). Im Wirtschaftsunterricht vereinfacht das Angebot-Nachfrage-Modell beispielsweise das Verständnis für die Entstehung des Preises und die Bildung des Marktgleichgewichts. Auch exemplarische Beispiele erleichtern das Verständnis der Lernenden (Lehner, 2013). Inhalte können den Schülerinnen und Schülern durch ihnen bekannte Szenarien und Beispiele nähergebracht werden, wodurch ein direkter Bezug zur Lebenswelt der Lernenden (Problemorientierung) hergestellt wird.

Literatur

Lehner, M. (2012). Didaktische Reduktion (1. Auflage). Haupt.

Lehner, M. (2013). Viel Stoff - wenig Zeit: Wege aus der Vollständigkeitsfalle (4. Aufl.). Haupt.

May, H. (2010). Didaktik der ökonomischen Bildung (8., unveränd. Aufl.). Oldenbourg Wissenschaftsverlag. https://doi.org/10.1524/9783486711929 

Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg. (2016). Bildungsplan 2016. Wirtschaft/Berufs- und Studienorientierung (WBS). http://www.bildungsplaene-bw.de/site/bildungsplan/get/documents/lsbw/export-pdf/depot-pdf/ALLG/BP2016BW_ALLG_GYM_WBS.pdf

Ritter-Mamczek, B. (2016). Stoff reduzieren: Methoden für die Lehrpraxis (2., überarbeitete Auflage). Verlag Barbara Budrich.

Sorgalla, M. (2015, Dezember). Didaktische Reduktion. Der DIE-Wissensbaustein für die Praxis. https://www.die-bonn.de/wb/2015-didaktische-reduktion-01.pdf 

Sweller, J. (1988). Cognitive Load During Problem Solving: Effects on Learning. Cognitive Science, 12(2), 257-285. https://doi.org/10.1207/s15516709cog1202_4 

Wilbers, K. (2014). Wirtschaftsunterricht gestalten. Eine traditionelle und handlungsorientierte Didaktik für kaufmännische Bildungsgänge (2. überarb. Aufl., S. 844 pages). epubli.

zuletzt aktualisiert: 01.11.2024

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Zitationshinweis

Die Inhalte dieser Homepage sind CC-BY lizenziert (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/). Bei Verwendung der Inhalte empfehlen wir folgende Zitation:

Haag, L., & Schild, K. (2024). Didaktische Reduktion. In T. Brahm, M. Ring, & K. Schild (Hrsg.), Wirtschaft unterrichten. Offenes Lehrbuch für Wirtschaftsdidaktik. Online verfügbar unter: https://wirtschaft-unterrichten.de/mikrodidaktik/unterrichtsplanung/didaktische-reduktion (zuletzt abgerufen am [Datum]).